Solare Baupflicht – Stand der Dinge

16.04.2020, Annette Stoppelkamp

SFV-GigaWatt-Party

SFV-Solare Baupflicht

Dächer und Hausfassaden bieten in Deutschland immer noch ein großes ungenutztes Potenzial

Eine Photovoltaik-Pflicht kann dazu beitragen, die Energiewende zu beschleunigen.
Scheiterte Marburg noch 2010 vor Gericht mit der Einführung einer kommunalen solaren Baupflicht am hessischen Landesgesetz, machte Tübingen 2018 vor, wie es rechtlich gehen kann. Viele Städte und Gemeinden folgen dem Modell und haben bereits eine Solar- oder PV-Pflicht für alle geeigneten Neubauten eingeführt oder prüfen diese. Daraufhin nahm auch das Land Baden-Württemberg diese Idee auf und könnte damit eine wichtige Vorreiterrolle für weitere Bundesländer spielen.

Anstrengungen in den Kommunen und Bundesländern

Der Bundesgesetzgeber hat sowohl Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 Abs.1 Nr. 23b im Baugesetzbuch, als auch den städtebaulichen Vertrag nach § 11 BauGB als kommunale Handlungsoption ausgestaltet. Das Gesetz ermächtigt die Kommunen im Bebauungsplan, aus städtebaulichen Gründen, Gebiete festzulegen, in denen Energiekonzepte aus erneuerbaren Energien berücksichtigt werden müssen. [1]

Schon 2008 wollte das hessische Marburg eine kommunale Solarpflicht einführen. Mit Hilfe der „Marburger Solarsatzung“sollten bei allen Neubauten sowie bei Bestandsbauten mit Änderungen an Dächern oder Heizungsanlagen, verpflichtend solarthermische Anlagen (alternativ auch PV-Anlagen) installiert werden. Zwar schaffte es die solare Beschlussvorlage durch das Stadtparlament, jedoch wurde das neue Gesetz von der hessischen Landesregierung ausgehebelt. Diese hatte die hessische Bauordnung reformiert, um Bauen in Hessen schneller, kostengünstiger und einfacher zu gestalten. Dabei wurde der Paragraph bezüglich der Ermächtigung von Gemeinden, Vorschriften erlassen zu können über „besondere Anforderungen an baulichen Anlagen“ gestrichen.
Damit entfiel für hessische Gemeinden die Möglichkeit per Bebauungsplan Brennstoffe und Heizungsarten vorgeben zu können. Das Gießener Verwaltungsgericht wies eine Klage ab. [2]

Überhaupt war der allgemeine Tenor, quer durch alle Parteien, Photovoltaik zur Stromgewinnung oder Solarthermie zur Warmwassergewinnung auf Hausdächern nicht zwingend vorzuschreiben, sondern auf Freiwilligkeit zu setzen. Weswegen Ende 2010 auch Kassels Stadtbaurat Dr. Joachim Lohse mit seinen Vorstoß Solardächer auf Kassels Neubauten vorzuschreiben, auf wenig Gegenliebe stieß. [3]

10 Jahre später weiß inzwischen (fast) jeder, wie zwingend notwendig der PV-Ausbau ist, um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Freiwilligkeit und Marktregulierung allein bringen nicht den gewünschten schnellen Effekt. In vielen Städten und Gemeinden tut sich was in Bezug auf die solare Baupflicht und dies gibt Grund zur Hoffnung.

Baden-Württemberg als Vorreiter für weitere Bundesländer?

Die rechtlichen Grundlagen für eine landesweite Photovoltaikpflicht wird derzeit in Baden-Württemberg auf Betreiben von Umweltminister Franz Untersteller geprüft. Eine Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes soll dafür sorgen, dass 2030 mehr als jede zweite in Baden-Württemberg erzeugte Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien kommt. Vorgesehen ist deshalb unter anderem, laut Pressemitteilung des Landes vom 6.12.19, dass der Einbau von Photovoltaik-Anlagen bei Neubauten von 2022 an in Baden-Württemberg verpflichtend ist. [4]

Maßgeblich vorangetrieben wurde dieser Vorstoß von einigen Städten und Kommunen Baden-Württembergs, die bereits eine solche PV-Pflicht eingeführt haben. So ging Tübingen im Juli 2018 medienwirksam in die solare Offensive. Zwei Drittel der Gemeinderatsmitglieder stimmten damals für ein „Zwischenerwerbsmodell“, das eine PV-Pflicht auf städtischem Grund möglich macht.

Das Tübinger Modell

Die Stadt steuert die Vergabe der Baugrundstücke, indem sie sämtliche Flächen erwirbt, entwickelt und erschließt. Beim Weiterverkauf an Bauinteressenten ist im Kaufvertrag verpflichtend geregelt, eine Photovoltaikanlage auf dem Neubau zu montieren. Auch bei städtebaulichen Verträgen, etwa bei der Planung eines neuen Wohngebietes, ist der Passus enthalten. „Denn,“ so Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer im Juli 2018 im Interview mit PV Magazine: „In Grundstückskaufverträge kann man alles reinschreiben, was nicht sittenwidrig ist. Und in städtebaulichen Verträgen hat man einen ähnlich großen Spielraum.“[5]

Dabei hatte das baden-württembergische Waiblingen, als erste Stadt in Deutschland jedoch weitgehendst unbemerkt, schon 2006 in einem Neubaugebiet eine Solarpflicht eingeführt. Diese wird in den städtebaulichen und Grundstücksverträgen und über den Bebauungsplan festgeschrieben. Baubürgermeisterin Birgit Priebe zufolge, ist in mittlerweile rund 20 Wohn- und Gewerbegebieten die solare Nutzung der Dächer auf diese Weise realisiert worden. Anders als in Tübingen, können hier die Vorgaben auch durch Solarthermie-Anlagen erfüllt werden. [6]
Und obwohl die Festschreibung über den Bebauungsplan nicht absolut rechtssicher sei, „habe es bisher keine Klagen gegeben. Im Gegenteil: Die Investoren sähen, dass sich die Photovoltaik für sie rechnet“, so Birgit Priebe. [7]

Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?

Bayern:
In Amberg hat der Stadtrat am 16.12.19, nach Antrag der SFV Infostelle Amberg, beschlossen, zukünftig in allen Bebauungsplänen eine Verpflichtung für PV-Anlagen einzuführen. Möglich machte dies ein neues Konzept für Bebauungspläne mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit. [8]

Zuvor hatte Paffenhofen im März 2019 bereits eine PV-Pflicht für zunächst ein neues Wohngebiet ausgerufen. In einem älteren Wohngebiet soll die PV-Pflicht bei Neubauten und Aufstockungen älterer Gebäude ebenfalls zum Einsatz kommen. [9]
In Konstanz hat der Gemeinderat, als Reaktion auf den Ausruf des Klimanotstands Mitte Mai 2019, eine Solar-Pflicht für Neubauten auf städtischem Grund verabschiedet. [10]

Hessen:
Die Landeshauptstadt Wiesbaden folgt dem Tübinger Modell und verpflichtet beim Bauen auf städtischem Grund zur Installation einer PV-Anlage. [11]

Hamburg:
Hier ist, dank dem neuen Hamburgischen Klimaschutzgesetz, ab 2023 eine Photovoltaikpflicht für private und gewerbliche Neubauten vorgesehen. [12]

Berlin und Niedersachsen:
Dort fordern die Fraktionen von B90/Grüne von der Landesregierung die Einführung einer Photovoltaik-Pflicht nach Tübinger Modell oder durch eine Änderung der Landesbauordnung. [13, 14]

Die Akzeptanz unter den Bürgern ist groß, denn laut einer bundesweiten Umfrage würden 80 Prozent der Befragten eine gesetzlich vorgeschriebene solare Nutzung von Dachflächen auf Wohnungs-und Gewerbeneubauten unterstützen. [15]

Fazit

Ist diese Herangehensweise angesichts der gravierenden Herausforderungen, die eine Klimakrise an uns alle stellt, sinnvoll?
Mehr als 90 Prozent der Deutschen sind zwar dafür, dass die Energiewende schnell vorangeht, doch schaut man sich die Zubauzahlen der vergangenen Jahre an, ist von einem persönlichen Engagement wenig zu spüren. Das liegt vor allem an den schlechten politischen Rahmenbedingungen, wie Bürokratie und geringe Vergütungen.

Jeder trägt eine Verantwortung für den Erhalt der Erde und das Abwenden der Klimakatastrophe. Dies gilt für Architekten, die begreifen müssen, dass PV- und Solaranlagen integraler Bestandteil einer Architektur sind. Dies gilt für private Bauherren/frauen, und dies gilt für Unternehmen und Vermieter, die vor allem in Gegenden, wo die Nachfrage nach Wohnraum das Angebot weit übersteigt, zunächst keinen Kostenvorteil in der Installation einer Anlage sehen. Solaranlagen müssen auf alle Dächer, egal wie die persönlichen Umstände vor Ort sind.

Eine PV-Pflicht bei Neubauten kann den Ausbau der Erneuerbaren Energien zwar beschleunigen, ist aber allein nicht ausreichend!
Wir müssen auch die vorhandenen Dächer nutzen!

Der Kreis Düren hat die Zeichen der Zeit erkannt: Mit dem Ende der Braunkohleförderung werden regenerative Energien wichtiger denn je und sorgen für nachhaltige Arbeitsplätze. Im Mai letzten Jahres startete der Kreis deshalb ein Förderprogramm und unterstützte mit je 1000 Euro den Kauf und Installation von Photovoltaikanlagen für zunächst 1000 Dächer.

Bereits in den ersten drei Monaten gingen 500 Anträge ein. Viele Bauwillige geben zu, dass sie seit Jahren mit dem Gedanken eine PV-Anlage zu errichten gespielt haben, aber erst nach Bekanntgabe des Förderprogramms endlich zur Tat geschritten sind.
„Genau das wollten wir mit unserem Fonds erreichen: Wir geben den Anstoß, dass die Menschen in Klimaschutz investieren, was der Umwelt und der heimischen Wirtschaft zugute kommt”, so Landrat Wolfgang Spelthahn. Aufgrund der großen Resonanz ist geplant, das Programm fortzusetzen. [16]

Wir wünschen uns, dass neben dem „Tübinger Modell“ auch das „Dürener Modell“ für viele Städte und Kommunen zum Vorbild wird.

Quellen

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/__9.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Marburg#Solarsatzung
[3] https://www.hna.de/kassel/hilgen-gruene-gegen-solar-pflicht-stadtbaurat-vorschlag-stoesst-kritik-1043046.html
[4] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/photovoltaik-pflicht-fuer-neubauten-im-land-1/
[5] https://www.pv-magazine.de/2018/07/06/boris-palmer-zur-neuen-photovoltaik-pflicht-in-tuebingen/
[6] https://www.pv-magazine.de/2018/09/10/waiblingen-setzt-schon-lange-auf-solarpflicht/
[7]
[8]
[9] https://pfaffenhofen.de/paf-und-du/nachrichten/photovoltaik-pflicht-im-baugebiet-pfaffelleiten/
[10] https://www.seemoz.de/lokal_regional/die-solarpflicht-ist-beschlossen/
[11] https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/nachrichten-wiesbaden/wiesbaden-macht-solar-zur-pflicht_20040448
[12] https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/13278828/2019-12-03-sk-bue-hamburger-klimaplan2019/
[13] https://www.erneuerbareenergien.de/berliner-gruene-wollen-photovoltaik-auf-jedem-neubau-sehen
[14] https://www.fraktion.gruene-niedersachsen.de/landtag/plenarinitiativen/artikel/antrag-fuer-das-klima-auf-die-daecher-gehen-energiewende-
dezentral-gestalten-und-die-sonnenkraft-nut.html
[15]
[16]

Quelle: SFV.de

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